Eine Form der Erinnerung: Vier neue Stolpersteine in Bochum

Heute vor 82 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, markierte die Reichspogromnacht den Übergang der Verachtung und Diskriminierung hin zur Tötung und Vertreibung der Jüdinnen und Juden in Deutschland. Über 1.400 Synagogen sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Im Zuge des Novemberpogroms wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, wo mindestens weitere 400 ermordet wurden oder an Haftfolgen starben. Als Zeichen der Erinnerung verlegte der Künstler Gunter Demnig hier in Bochum vier „Stolpersteine“, wobei ihm Schülerinnen und Schüler der Q2 über die Schulter geschaut haben und nachdenklich geworden sind.

Stolpersteine: Ein besonderes Mahnmal

Bereits am 8. Oktober wurden die vier Stolpersteine für Johanna, Siegfried, Werner und Alfred Baumgarten in Bochum an der Scharnhorststraße 4 verlegt. Seit 1992 werden solche kleinen, quadratischen Messing-Gedenktafeln von Demnig in den Gehweg vor dem letzten gemeldeten Aufenthaltsort der Opfer eingelassen, welche mit Informationen zu unter anderem den Geburts- und Todesdaten an das Schicksal der Menschen erinnern sollen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, deportiert, vertrieben, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Die Stolpersteine sollen den Menschen, die in den Konzentrationslagern zu Häftlingsnummern degradiert wurden, ihre Namen zurückgeben und das Bücken, um die Texte auf den Steinen zu lesen, soll eine symbolische Verbeugung vor den Opfern darstellen. Ende 2019 wurde in Memmingen der 75.000ste Stolperstein verlegt. Damit gilt das Projekt, in dessen Rahmen in Deutschland sowie in 25 weiteren europäischen Ländern Stolpersteine verlegt worden sind, als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.

Bei der Verlegung anwesend waren unter anderem Herr Trachte und seine Schülerinnen und Schüler des Geschichtszusatzkurses aus der Q2 sowie Frau Overrath, welche die Verlegung der Stolpersteine im letzten Jahr mit ihrem Geschichtskurs vorbereitet hatte.

Die Familie Baumgarten

Zur Familie Baumgarten gehörten Vater Siegfried (27.01.1878 – 21.05.1943) und Mutter Johanna (28.05.1884 – 21.05.1943) sowie die Söhne Alfred (22.06.1909-Unbekannt) und Werner (20.04.1913-Unbekannt). Siegfried Baumgarten arbeitete als selbstständiger Kaufmann (Möbel- und Polsterwaren) bei Strauß & Baumgarten, zuletzt in der Kortumstraße 120 in Bochum. Das Unternehmen ging 1930 in Konkurs. Die Eheleute Baumgarten emigrierten gemeinsam am 17.07.1936 in die Niederlande, nachdem Sohn Alfred bereits 1933 dorthin emigriert war. Werner Baumgarten emigrierte ab dem 11.10.1935 von Bochum über Hamburg nach Argentinien und schließlich nach Paraguay. Sein Bruder Alfred tauchte 1943 in den niederländischen Untergrund ab und emigrierte 1946 über New York nach Chicago. Die Eltern wurden in den Niederlanden gefasst und waren zunächst im Durchgangslager Westerbork inhaftiert. Am 18. Mai 1943 wurden sie aus dem Durchgangslager zum Vernichtungslager Sobibor nach Polen deportiert und wurden dort, bereits drei Tage nach der Deportation, am 21. Mai ermordet. Über den Verbleib der Brüder ist wenig bekannt, sie stellten beide unmittelbar nacheinander im Jahr 1958 und 1959 Anträge auf Wiedergutmachung und bekamen eine Entschädigung für die Fluchtkosten zugesprochen. Werner hat sechs Kinder und wurde Viehzüchter in Paraguay. Alfred Baumgarten änderte in den USA seinen Namen zu Alfred B. Bralten.

Eindrücke der Schülerinnen und Schüler

Ich fand es sehr bewegend, selbst bei einer Stolpersteinverlegung dabei zu sein, vor allem auch deshalb, weil der Künstler, Herr Demnig, diese persönlich durchgeführt hat. Berührt hat mich die Geschichte der betroffenen Familie, die auf dem Stein zu lesen ist und die für uns alle Mahnung sein sollte. Es war ein Erlebnis, über das man nachdenkt.“
~Marlene (Q2)

Das Projekt von Gunter Demnig ist beeindruckend und unendlich traurig zugleich. Die Verlegung der vier Steine für die Familie Baumgarten hat mich den restlichen Tag über nachdenklich gemacht und auf eine undefinierbare Art und Weise fassungslos fühlen lassen. Der systematische beziehungsweise maschinelle Mord an über sechs Millionen Jüdinnen und Juden wird für uns und die nachfolgenden Schülergenerationen zentral sein, um womöglich zu verstehen, aber niemals zu vergessen, was in den zwölf Jahren der Gewalt- und Terrorherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland geschehen ist.

~Ben (Q2)